Sonntag, 27. Oktober 2013

Was mir an Fußball-Deutschland nicht gefällt

Fußball ist super. Jedes Wochenende kündigt eine wohlbekannte Mischung aus Vorfreude, Nervosität und Spannung den neuen Spieltag an. Fällt dieser mal flach, zeigt mir das Leben mit brachialer Rücksichtslosigkeit die Langeweiles meines Daseins auf.
Und doch stellte ich in den letzten Jahren fest, dass immer mehr Dinge, ob auf oder abseits des Platzes, diese Lust erheblich trüben.

Auf dem Platz:
Jeder, der selbst mal Fußball gespielt hat, weiß wie emotional intensiv dieses Spiel ist.
Nun gibt es Regeln, die besagen, dass ein Spieler sich weder das Trikot ausziehen, noch mit den Fans feiern darf. Missachtung führt zu einer Gelben Karte.
So kann es geschehen, dass ein übermütiger Spieler im Eifer des Torjubels vom Platz fliegt.
Welch Schwachsinn!
Nicht nur hat ein ausgezogenes Trikot noch niemandem Schaden bereitet, nein, zu allem Überfluss werden auch noch weibliche Fans um den Anblick eines gestählten Fußballerkörpers gebracht.

Was stört mich noch? Schwalben! In einem Bundesligaspiel des Jahres 2013 sehe ich, durchschnittlich, bestimmt 5 Schwalben im Spiel, eine davon im Strafraum. Es ist Gewohnheit geworden, sich bei kleinstem Körperkontakt zu Boden sinken zu lassen, den Rasen noch im 5-Meter Radius platt zu wälzen und so einen Freistoß, oder gar Elfmeter zu provozieren.
Widerlich! Schwalben treten den Sportsgedanken mit Füßen und sollten wesentlich konsequenter geahndet werden. Selbst ein LeBron James darf sich mehr Körpereinsatz erlauben als der durchschnittliche Bundesligaspieler, dabei wird Basketball doch allgemein als körperloser Sport deklariert.

Nummer drei: Die leidige Handspiel-Diskussion. Seit Jahren echauffieren sich ehemalige Fußballprofis, hoch dekorierte Bild-Journalisten und engagierte Spiegel-Online Forennutzer über die schwammige Auslegung der Handspielregel.
Mit Recht, nur kommen sie teilweise zu merkwürdigen Schlussfolgerungen, wie: "Einfach immer abpfeifen wenn der Ball die Hand oder den Arm berührt". Das kann nicht die Lösung sein!
Schon jetzt werden viel zu viele Strafstöße gepfiffen, weil ein armer Teufel aus 5 Meter Entfernung abgeschossen wird. Spieler verschränken teilweise ihre Hände hinterm Rücken, um ja keinen Elfer zu verschulden. Hier muss eine deutliche Lockerung der Regel stattfinden. Geht der Abwehrspieler in bester Titan-Manier mit der Hand zum Ball, muss es natürlich geahndet werden. Aber dass Arm und Körper nicht wie zusammengetackert aneinander hängen, sollte auch jedem klar sein.

Nummer vier: Tatsachenentscheidung.
Hier muss man differenzieren. Geht es um Fehlentscheidungen die im Spielfluss geschahen, und nur die aktuelle Partie beeinflussen, ist es natürlich richtig und wichtig, dass sie im Nachhinein nicht mehr geändert werden können. Als Beispiel sei hier ein vermeintliches Abseitstor genannt. Dazu zähle ich übrigens auch das Phantomtor von Stefan Kießling.
Anders verhält es sich bei Entscheidungen, die eine Mannschaft über den Abpfiff hinaus treffen, wie beispielsweise Rote Karten.
Lässt sich am Ende des Spiels eindeutig feststellen, dass diese unberechtigt war, muss der DFB eine nachträgliche Sperre erlassen. Alles andere ist schlichtweg lächerlich.

Nummer fünf: Attitüde der Schiedsrichter.
Ja, mir ist bewusst, dass "unsere" Regelhüter einen anspruchsvollen und undankbaren Job übernehmen. Dennoch würde ich mir oft wünschen, dass sie ein wenig mehr über den Dingen stehen, statt jede Beschwerde sofort als persönlichen Affront zu sehen. Dies gilt natürlich nur für einen Teil, positive Beispiele wie Knut Kircher sind ausgenommen.
Es muss nicht sein, dass jedes Zetern eine Gelbe Karte nach sich zieht. Gute Schiedsrichter fallen nicht auf. Sie wirken beschwichtigend, deeskalierend und versuchen, das Spiel mit 22 Mann auf dem Feld zu beenden.
Und sie brauchen keine harschen Imperator-Gesten, um ihre Partie im Griff zu haben.

Außerhalb des Platzes
Da es sonst den Rahmen sprengen würde, beschränke ich mich hier auf drei Themen.

Erstens: Das Verhältnis zwischen Fans und Vereinen.

Fans sind die Seele eines Vereins. Nicht nur sind sie finanziell von unschätzbarem Wert, auch im Stadion helfen sie die Mannschaft zu Höchstleistungen zu pushen. Nun gibt es viele verschiedene Fans, ich werde an dieser Stelle einfach mal unsauber zwischen zwei Arten differenzieren: Der harte Kern, und der Rest.
Ersterer zeichnet sich dadurch aus, so oft es geht zu Spielen seines Vereins zu reisen, unermüdlich, auch außerhalb der 90 Minuten, zu supporten, und einen großen Teil seines Lebens diesem Klub zu widmen.
Zweitere mögen ebenfalls eine hohe Affinität zum Verein haben, fahren aber seltener, betrachten Spiele nicht selten als Konsumgut und sind von der alltäglichen Fanpolitik nicht im gleichen Maße betroffen. Dafür gibt es viele Gründe, und keine der beiden Gruppen ist besser oder schlechter.
Nun hat der "harte Kern" allerdings andere Prioritäten, als der "Rest". Da geht es um Ticketpreise, Freiheiten im Stadion, Dialog und nicht zuletzt auch ein Stück Anerkennung.

An dieser Stelle unterscheiden sich einige Vereine, zu anderen. Im positiven Fall führen Dialog zwischen Verein und Fans zu bunter, lautstarker Unterstützung und, im Gegenzug, fairen Bedingungen für die Fans. Läuft das ganze aber weniger gut, kann es schonmal knallen, wie vor kurzer Zeit beim FC Bayern München zu sehen. Schon lange ist das Verhältnis zwischen dem "harten Kern", oder der "aktiven Fanszene", und der Vereinsführung angespannt. Nicht zuletzt aufgrund einer Wutrede von Uli Hoeneß, bei der er verlauten ließ: "Eure Scheißstimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir". Weitere Maßnahmen ließen vermuten, man wolle den "unangenehmen", lauten Teil der Fans aus dem Stadion haben. Zum Beispiel wurde der Zugang zum stimmgewaltigen Teil der Arena mit Drehkreuzen versehen. Nun hat der Verein generell einen sehr kleinen Stehplatzbereich, und somit die Fanszene wenig Potential, Nachwuchs zu generieren. Die Folge war ein Stimmungsboykott und gespenstische Stille in darauf folgenden Bundesligaspielen. Danach erkannten auch die Verantwortlichen: So macht das weder Sinn, noch Spaß. Den Wert dieses "harten Kerns" findet man eben nicht direkt im Finanzellen, er äußert sich in Unterstützung der Mannschaft und dem Stadionerlebnis.
Es ist wichtig, dass Vereine und Fans wissen, was sie aneinander haben, und sich gegenseitig unterstützen.

Trotzdem gibt es immernoch Klubs, die meinen, aus ihren Anhängern auch noch das letzte bisschen Geld rauspressen zu müssen, zum Beispiel durch eine Kooperation mit der Ticketbörse viagogo. Eine detaillierte Beschreibung würde hier wieder den Rahmen sprengen, dieser Artikel zeigt jedoch gut, mit was für einer Art Unternehmen man es zu tun hat. Kurze Einordnung: Für einen Stehplatz beim Spiel Dortmund gegen Bayern muss man schonmal 198 € zahlen. Mit dem FC Augsburg, FC Bayern München (noch), Hannover 96, 1. FC Kaiserslautern, 1. FC Nürnberg, VFL Wolfsburg, VFL Bochum, TSG 1899 Hoffenheim und dem VFB Stuttgart haben gleich neun deutsche Profivereine eine Partnerschaft mit dieser Organisation. In Hamburg und auf Schalke wurden ähnliche Verträge erst durch massive Fanproteste widerrufen.
Da kann man sich durchaus fragen: Wie stehen solche Vereine zu ihrer Anhängerschaft? Austauschbare Goldesel?
Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, darunter fallen Borussia Dortmund, Hertha BSC oder Borussia Mönchengladbach, die viagogo von Anfang an abgelehnt haben. Als Fan von einem der oben genannten Vereine würde ich mir aber ziemlich verarscht vorkommen.

Zweitens: Die Polizei.

Viel ist in den letzten Monaten über dieses Thema geschrieben worden. Abseits der immer währenden Diskussion nach finanzieller Beteiligung der Bundesligavereine an Polizeieinsätzen, rückt auch das Verhalten der Polizei stetig weiter in den Fokus. Besonders nach den Vorkommnissen in Dortmund und während des Champions-League Qualifikationsspiel auf Schalke wurde über die Verhältnismäßigkeit mancher Polizeieinsätze diskutiert. Eine legale Flagge rechtfertigt auf keinen Fall Polizeigewalt dieser Art.
Im Fokus der Kritik stand insbesondere NRW Innenminister Ralf Jäger, der sich bis heute keinem vernünftigen Dialog gestellt hat. Die Aufarbeitung der Fälle lässt auf sich warten.

Ähnlich schlimm sind die Aussagen des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Seit Jahren versucht er, Fußballfans den Stempel des Verbrechens aufzudrücken. Er scheut keine Kontroverse, um mit purem Populismus auf angebliche Gefahren durch vermeintlich kriminelle Fußballfans hinzuweisen. 2010 forderte er, nach einem Platzsturm im einzigen reinen Sitzplatzstadion Deutschlands, die Abschaffung der Stehplätze. Auch der schöne Satz "Jeder, der sich in ein Fußballstadion begibt, begibt sich in Lebensgefahr" stammt von ihm - plumpe Panikmache, dessen Subtext, nämlich dass es in einem Fußballstadion besonders gefährlich sei, nicht zu belegen ist. Im Gegenteil.

Oft beruft sich die Polizei auf Zahlen der "Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS).
Dass diese vollkommen undifferenzierten Zahlen kaum Informationsgehalt bergen, und lediglich dazu missbraucht werden können, dem "normalen" Bürger Angst zu machen, lässt sich hier gut nachlesen.

Dass Gesetzeshüter auf derart Mittel zurückgreifen, lässt mich in manchen Momenten doch etwas sprachlos zurück.
Und solche Szenen tragen nicht zur Besserung bei. Quo vadis, Rechtsstaat?

Drittens: Die Medienlandschaft.

Es ist ein Problem das weit über den Fußball hinaus geht. Zeitungen verkaufen nach Auflage, Menschen finden Skandale geil, Zeitungen machen Skandale. Es nervt mich ungeheuerlich.
Spieler und Trainer, die im September noch mit Lob überschüttet wurden, können im Dezember schon die letzten Nullpeiler sein.

Interne Reibungspunkte werden nach außen getragen, aufgebauscht und als riesiges Drama veröffentlicht. Einzelne Menschen werden rausgepickt und öffentlich denunziert. Überall wird nach Streit, Problemen und Skandalen gesucht. Objektive Berichterstattung ist ein seltenes Gut geworden.

Auch im Bereich der Fanpolitik nehmen die Medien eine zentrale Rolle ein. Vor dem öffentlichkeitswirksamen Protest 12:12 schlugen viele in die (falsche) populistische "Ultras sind die Taliban der Fans"-Kerbe. Einen differenzierten Umgang mit den Fanszenen der Liga gab es kaum, dem neutralen Konsument wurde vorgegaukelt seine Sicherheit im Stadion sei gefährdet. Auch wenn es sich inzwischen geändert hat, und viele Journalisten Aussagen der Innenminister und Polizei wesentlich kritischer betrachten, so hinterließen die Vorkommnisse letztes Jahr doch eine Narbe bei mir.
Schnell ging es nicht mehr um konkrete Probleme, die Kritik an den aktiven Fanszenen entwickelte eine Eigendynamik mit der ich niemals gerechnet hätte.
Und wie konnte es so weit kommen? Sensationsgeilheit der Medien und Bewohner dieses Landes. Spielen mit den Ängsten der Leute.

Sollte es mit den Auflagen mal wieder nicht so rund laufen, wer weiß, vielleicht erleben die Taliban dann ihr großes Comeback.

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