Mittwoch, 30. Oktober 2013

Stop!

Gleich zu Beginn eins vorweg: Ich möchte weder verharmlosen, gutheißen noch schönreden.
Die Ereignisse im Dortmunder Block letzten Samstag waren nicht in Ordnung.
Pyro hin oder her, sobald man Böller und gefährliche Signalmunition in Richtung anderer Menschen, oder auf den Platz, wirft, hört der Spaß auf.
Ich habe nichts gegen eine feurige Einlage vor dem Spiel, das gebe ich liebend gerne zu.
Aber an diesem Tag wurden Grenzen überschritten.

Die möglichen Auswirkungen dieses Ausreißers wurden schon an mehreren Stellen hervorgehoben. Um den Eurosport-Redakteur Michael Wollny zu zitieren:
Die Vorfälle sind Wasser auf die Mühlen all jener, die Fankultur nicht verstehen, sondern zerschlagen wollen. Es sind diese Bilder, die eine öffentliche Sensibilisierung für fragwürdige Polizeistrategien völlig torpedieren.

Dennoch sage ich: Stop!
So wenig ich die Vorfälle vom Derby nachvollziehen oder gutheißen kann, ist mir doch aufgefallen, dass der entbrandeten Diskussion (mal wieder) jegliche Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen ist.

Erinnern wir uns: Vor ziemlich genau einem Jahr war Schalke 04 zu Gast in Dortmund. Die Ausschreitungen waren wesentlich heftiger als alles, was am Samstag abgelaufen ist.
Pyrotechnik hin oder her, verletzt wurde dieses Mal nur eine Person, festgenommen vier.
Am 20. Oktober 2012 gab es schon lange vor dem Spiel Probleme mit aufeinander treffenden Gruppierungen. Am Ende des Tages nahm die Polizei rund 200 Personen in Gewahrsam. Acht Beamte wurden verletzt. Und auch damals zündeten Fans der Gästemannschaft Pyrotechnik im Stadion.

Nun gibt es signifikante Unterschiede zwischen den beiden Vorfällen, das ist mir durchaus bewusst. 2012 fand ein Großteil der Randale außerhalb des Stadions statt und, vielleicht am wichtigsten, niemand schoss Leuchtraketen in benachbarte Blöcke.

Trotzdem erscheint es mir unter den Aspekten vollkommen falsch, von einer "neuen Dimension" der Gewalt zu sprechen.

Viele Medien haben kein Interesse an einer Lösung

Und doch lässt es sich gut verkaufen. Indem man vorgaukelt, etwas noch nie dagewesenes gesehen zu haben, generiert ein Medium natürlich neue Interessenten. Die Deutschen sind ein sensationsgeiles Volk, Drama lässt die Kassen klingeln.

Beispiele gefällig? Kurz nach dem Spiel antwortete Vollblut BVB-Spieler Kevin Großkreutz auf die Frage, ob er sich für die Fans schäme, sinngemäß: "Ich schäme mich für niemanden. Soll doch jeder selbst wissen, was er tut."
Ein idealer Aufhänger für Sport1.
Natürlich ließ sich daraus sofort eine Story machen. Großkreutz, das schlechte Vorbild? Darf er das überhaupt? Hat er vielleicht sogar eine Mitschuld an solch Vorkommnissen?
Für die Lösung des Problems so sinnvoll wie Ausscheidungen am Schuh.

Großkreutz muss mit Sicherheit niemandem Rechtschaffenheit ablegen. Ohne zu wissen, wer genau für diesen Eklat verantwortlich ist, fällt es gerade einem Fußballer mit engen Verbindungen zur Fanszene schwer, eben jene zu denunzieren. Damit spricht er keine Verbrüderung mit Pyrowerfern aus.
Und besonders ein Spieler seines Formats wird sich hüten, direkt nach einem emotionalen Derbysieg, in der Mixed Zone, irgendetwas falsches zu sagen.

Natürlich gibt es noch viele weitere Beispiele. Etliche Fußballblogger werden wieder die Verrohung der deutschen Gesellschaft, den Niedergang der Familien in Stadien und das Ausbrechen von Anarchie heraufbeschwören.
Ein Beispiel lieferte der ebenfalls bei Eurosport bloggende Thilo Komma-Pöllath.
Er tobt sich munter in unpassenden Al-Quaida Vergleichen aus und vermischt, wie in der Medienwelt so üblich, Pyrotechnik und Gewalt.

Einen besonders appetitlichen Fall bot die Dortmunder Lokalredaktion des WDR.
Hierzu empfehle ich diesen Blogeintrag.
In Kurzform versucht sie die Fanszene des BVB zu öffentlichen Erklärungen gegen die Vorfälle vom Samstag zu drängen. Pikant dabei: Die Situation wird dargestellt, als hätte es derlei noch nicht gegeben.
Dabei haben sich seit dem Derby hunderte, vielleicht tausende Fans gegen die Aktion ausgesprochen. Die zwei größten Fanmagazine "schwatzgelb.de" und "Die Kirsche" quollen über vor Empörung.
Durch seine "Bestrafung", nämlich dem Entfernen von Bildern der Südtribüne im Vorspann ihrer Sendung, nimmt der Sender außerdem alle BVB-Fans in Sippenhaft. An Populismus kaum zu überbieten, dient es nur dem eigenen Aufschwingen zum moralischen Vorbild.

All dieses Mediendrama bietet lediglich eine Bühne für die intendierte Provokation der Vermummten von Schalke, diskreditiert pauschalisierend einfach alle Ultras dieses Landes, oder lenkt den Fokus auf andere unwichtige Nebenschauplätze, ohne sich dem eigentlichen Problem zu widmen. Zudem geht es oft nur noch um Selbstprofilierung oder das Aufbringen neuer, brisanter Storys.

Ohne eine Ermittlung der Täter sind endgültige Schlussfolgerungen sowieso zum Scheitern verurteilt. Erst nach deren Abschluss, der Durchsetzung von Strafen und der Reaktion von Dortmunds Fanszene in den nächsten Monaten kann ein abschließendes Fazit gezogen werden.
Alle, die jetzt versuchen Fankultur im Allgemeinen zu verurteilen, oder dem Fußball wieder ein Sicherheitsproblem andichten wollen, reiten schwafelnd auf einer Welle des Populismuses.

Denn vergessen wir nicht: Revierderbys waren und sind niemals normale Umstände.

Kritik? Ja! Aber doch bitte sachlich und konstruktiv.


PS: Die Initiative "Pro Fans" hat sich übrigens auch zu den Vorfällen geäußert.

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